Letztens war Welttag der Poesie, behauptete meine Liebste, deshalb sollte ich doch mal was über Poesie schreiben, Politik wäre auf Dauer doch arg eintönig.

Was Blumiges

übersetze ich das für mich. Poesie ist mehr auf das Gefühl gerichtet, sie soll mein Herz ansprechen, oder?

Das tut bei mir nur simple Poesie. Sie muss einfach verständlich sein, damit sie mir eine Träne oder auch mal so eine bebende Sturzflut entlockt, was ich dann gern für mich allein genieße. Wer hat das gekonnt? Als erstes fällt mir Gundermann ein, was gesungene Poesie ist.

Ich kann nicht erklären, warum dieses Lied so eine wütende Traurigkeit in mir entfacht hat. Ich habe das gesungen, ach was, gebrüllt, wenn ich ins Vogtland fuhr. Es war wie so eine Selbstermächtigung. Das zeichnet Poesie wohl aus, dass man ihre Wirkung nicht so recht erklären kann.

Heftig auf die Brust

schlägt auch sowas wie „Lass es Liebe sein“ von Rosenstolz. Das könnte ich gar nicht abschreiben, weil ich hinterher den Laptop mit dem Fön trocknen müsste.  In den Nachrufen auf AnNa R. ging es immer darum, dass das ihr größter Erfolg war, dass ab da auch die Radiosender sie nicht mehr ignorieren konnten, die Ignoranten.  Aber es geht darum, was diese Texte in den Fans auslösten. Was sie damit verdient haben, interessiert immer nur die, die nicht davon schreiben wollen, wie sie auch geheult haben.

Die Kunst des klappernden Reimes

gehört für mich unbedingt zur Poesie. Und eine gewisse durchschimmernde Ironie. Ganz weit vorne Heinrich Heine. Er ist überhaupt der für mich unerreicht Größte, weil er die zwei Pole der Poesie in einem Gedicht vereinigen kann: große Gefühle und beißenden, manchmal auch nur zwickenden Spott.

Man lasse es sich von Herrn Eberhard Esche vortragen, wenn man es findet. Das Gedicht heißt „Zur Teleologie“, und Esche hat es als Zugabe zu „Deutschland, ein Wintermärchen“ gerne gegeben.

Heine ist der Meister des Lakonischen.

Für die leise, zart flirrende Poesie bin ich nicht der richtige Rezipient. Aber so etwas Beiläufiges, was dem Drama die Spitze nimmt und es trotzdem stehenlässt, beeindruckt mich schwer.

Daher folgen hier meine erklärten

Lieblingsgedichte ohne Vertonung,

die ich auch alle auswendig aufschreiben kann. Erstaunlicherweise sind sie alle drei sehr lakonisch. Ich glaube, das Lakonische muss sein, weil es einen vor dem Unaushaltbaren rettet. Es nicht so wichtig nimmt.

Was soll man dazu sagen. Die zweite Strophe ist etwas sperrig, aber man muss sie halt erzählen, um den beiläufigen Befund am Ende loswerden zu können. Bricht halt das Herz entzwei. Kann man nix machen.  

Der nächste Meister des Lakonischen ist

Ja, entspricht original den Tatsachen. Das passt auch gut zu diesem Kinderreim, den wir immer aufgesagt haben: Denke nie, gedacht zu haben, denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken. Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, denken aber tust du nie.1 Bisschen viel Redundantes, wie man heute gerne sagt, aber wir hatten Spaß, das immer weiter auszudehnen.

Und zuletzt ein Gedicht, das ich aus Wolfgang Herrndorfs Buch „Arbeit und Struktur“ habe und ich gehe mal davon aus, dass es auch von ihm stammt.

Es sind sehr eigentümliche, nichtsdestotrotz treffende Wendungen, … wenn kein Gedicht weiß, wer wir waren … – ja Himmelherrgott, warum ein Gedicht? Es könnte auch eine letzte Festplatte sein, aber ein Gedicht – damit sagt er etwas über die Bedeutung der Poesie.

Ein Atom steht nicht, und warum ausgerechnet zwölf Milliarden Jahre, und wer will das noch messen, aber die Unbegreiflichkeit findet ihre Entsprechung in der Unsinnigkeit der gefundenen Bilder. Schön finde ich das Wort zerstieben an der Stelle, das hat etwas von Mehl oder Puderzucker, den man vom Tisch bläst. Aber der Höhepunkt sind die letzten zwei Zeilen. Könnte ich mir ständig vorsagen.

Wird es die Welt, die’s nicht mehr gibt, niemals gegeben haben.

Hast du nur zwölf Milliarden Jahre, dann

Lass es Liebe sein.

Zwölf Milliarden Jahre.

Sowas gibt’s dann auch nicht mehr: Jahre.


  1. „Die vulgäre Meinung nimmt an, dass das Denken sachlich sei. … Aber das Denken selbst ist eine vegetative Tätigkeit. Es gibt eine Gefühlsbetonung der Verstandestätigkeit, die keiner bloß affektiven Regung an Intensität nachsteht. … Die intellektuelle Tätigkeit kann nämlich derart strukturiert und gerichtet sein, dass sie wie eine äußerst raffiniert arbeitende Apparatur gerade zur Vermeidung der Erkenntnis, wie eine von der Wirklichkeit ablenkende Tätigkeit aussieht.“ (Wilhelm Reich – Charakteranalyse) ↩︎