Ich habe das Buch „Hässlichkeit von Moshtari Hilal gelesen.
Das möchte ich vorwegschicken: wenn ich jemanden animieren kann, dieses Buch zu lesen, kauft es als Hardcover. Es ist nämlich ein schönes Buch. Obwohl es um ein hässliches Thema geht.
In der fabelhaften Welt der Tiere (oder wie auch immer dieser sehr lustige Film hieß) ging es um ein Warzenschwein, das ein Junges hat, ein Junges, das nur eine Mutter lieben kann. So sagte das der Sprecher – und es war witzig gemeint.
Dem Warzenschweinjungen wird es egal sein, was der Sprecher eines Filmes über es sagt. Es kennt das Konzept der Hässlichkeit nicht. Obwohl es sicher auch unter Warzenschweinen erstrebenswerte und weniger erstrebenswerte Sexualpartner gibt. Und da erhebt schon der entscheidende Faktor sein Haupt. Schön ist, was wir gerne vögeln wollen. Ist das zu krass gesagt? Ich glaube nicht.
In einem anderen Film gab es eine Party, wo alle damit beschäftigt waren, ihren Marktwert zu taxieren und zu sehen, ob sie eine(n) abbekamen, den sie erstrebenswert fanden. Und zwei saßen dabei, ein knubbeliger Mann und eine knubbelige Frau, die sich selbst nicht so hübsch einstuften und darauf eingestellt waren, einen langweiligen, betrunkenen Abend als von allen verschmähte Beute zu absolvieren. Aber während alle Schönheiten mit ihren hochgesteckten Zielen scheiterten und zunehmend frustriert dem Ende der Nacht entgegenhechelten, hatten die Beiden, nachdem sie sich einmal füreinander entschieden, nach dem Motto: besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, nur noch Spaß und Sex in allen Räumen. Es war der running gag des Films. Egal, welchen Raum jemand betrat, überall und immer waren die Beiden miteinander zu Gange. Sie waren beide keine Schönheiten. Trotzdem wollten sie Sex. Und haben sich füreinander entschieden. Es muss also in ihrem Kopf sich ein Schalter umgelegt haben. Schönheit und Hässlichkeit und Liebe und Hass sind schließlich Entscheidungen, die wir treffen.
Moshtari Hilal, eine afghanische Frau,
die in Deutschland lebt und auf Deutsch sehr gut, möchte ich betonen, schreibt, hat sich von früher Jugend an in einen anderen Körper geträumt, in eine andere Existenz, sie fand sich nämlich nicht schön. Sie wollte auch so gut aussehen wie die Mädchen in diesen Serien, die sie sich anschaute. Aber sie hatte eine zu große Nase (in dem Buch geht es viel um die Nase) und zu starken und zu dunklen Haarwuchs, den selbst tägliches Rasieren oder Epilieren nicht bändigen konnte.
Das Buch ist eine Mischung aus persönlicher Geschichte und philosophischen, soziologischen, psychologischen Betrachtungen zum Thema: wie lebt es sich in der Hässlichkeit (also in der Nichtentsprechung mit dem gängigen Schönheitsideal), wie lebt es sich damit, nicht einmal ansatzweise in dessen Nähe gelangen zu können. Wie betrachtet die Gesellschaft solche Menschen, wo dürfen sie dabei sein?
Das Buch ist vordergründig aus weiblicher Sicht geschrieben. Ich weiß aber, dass auch Jungs und Männer solche Probleme haben. Als Junge war ich unsportlich und verpickelt und was weiß ich, was für weitere eigenartige Verhaltensweisen meinen Marktwert auf den Discos der Siebziger unten gehalten haben, denn wenn das Selbstbewusstsein diesbezüglich nur bescheiden bis gar nicht ausgeprägt ist, strahlt man Erfolg im Paarungskampf auch nicht aus. Ich bin froh, für mich hat sich alles gut ausgegangen (sagt man das in Ösiland so?), wie auch manches Mauerblümchen, dem man keine Aufmerksamkeit schenkte, sich zu einer schönen Rose entwickelt hat, während manche Traumfrau meiner Jugend zu einer übergewichtigen Mitfünfzigerin geworden ist, dass ich im Nachgang froh bin, keine Chance gehabt zu haben.
Wenn man sieht, welche Verrenkungen Manche(r) freiwillig auf sich nimmt, um gängigen Idealen nahezukommen, wenn nicht zu entsprechen, kann einem schon schwummrig werden. Ich rede nicht nur von aus dem Ruder gelaufenen Operationen, die man immer häufiger auf der Straße an sich vorbeilaufen sieht. Ich rede von dem alltäglichen Wahnsinn des Schminkens und Herrichtens und Blicke Übens. Man braucht da schon viel Selbstvertrauen, um sich dem, egal ob als Junge oder als Mädchen, zu entziehen.
Moshtari Hilals Buch könnte einem beim Entzug helfen.
Weil schon die vierzehn, alle gleich aussehenden Porträtfotos eines jungen Mädchens, das froh in die Kamera lächelt, am Anfang des Buches zeigen, dass Schönheit aus der Ausstrahlung und aus einem gesunden Selbstvertrauen kommen.
Was habe ich von übertriebener, in Teilen künstlich hergestellter Schönheit, die ich nicht anfassen darf, weil etwas verschmieren oder verrutschen könnte. Was habe ich von einem Blick, der stundenlang vor einem Spiegel eingeübt wurde, der mich also niemals meint, wenn er mich anschaut?
Schönheit allein trägt höchstens zehn Minuten.
Wenn da nicht noch etwas anderes hinzutritt, nützt die perfekte Schönheit gar nichts, nämlich eine ähnliche Art von Humor, eine nah beieinander liegende körperliche Sehnsucht und Bereitschaft, Freude an gemeinsamen Unternehmungen und eine im ähnlichen Rhythmus wogende Notwendigkeit von Nähe und Distanz, von umeinander Wissen und Geheimnis .
Das alles sind jetzt vordergründig meine Reflexionen zum Thema Hässlichkeit (und Schönheit) gewesen gewesen.
Die Sätze in dem Buch sind ganz anders, z.B. S. 102: „Die Identifikation mit dem imaginären Selbst spaltet das Bewusstsein, konditioniert uns ununterbrochen zur kritischen Selbstevaluierung, die den wirklichen Körper in seinem Versagen dem idealen, imaginierten Körper gegenüberstellt.“ Das klingt viel wissenschaftlicher und das ist das Buch in Teilen auch: wissenschaftlich. Es geht vom persönlichen Leben aus, kehrt auch dahin zurück, aber es ist eine Abhandlung und Reflexion der Schönheitsideale in der Geschichte, und was für Handstände gemacht wurden, um sie zu erreichen, und auch, was für Zuschreibungen dem „Hässlichen“ widerfahren sind bis hin zur Ausstellung in Freakshows.
S. 100: „Einige Chirurg*innen berichten bereits davon, wie sie regelmäßig plastische veränderte Doppelgängerinnen Kim Kardashians produzieren; in Analogie zur Sprache der Pandemie wird Kardashian daher auch als Patient Zero bezeichnet.“ Und sie schreibt weiter über Kylie Jenner, die sich hat operieren lassen: „Kylie Jenner kann endlich ihre eigene Schönheit in ihrer Tochter wiedererkennen, ein Blick, der ihr in der Vergangenheit im eigenen Spiegelbild nicht gelungen ist.“
Es ist ein schönes Buch. Es ist ein trauriges Buch. Es ist aber auch ein Mut machendes Buch.