Ein Buch, hundert Jahre alt. Alexandra Kollontai – „Wege der Liebe“

In Zeiten der Revolution. Konsequent aus der Sicht der Frauen geschrieben, zwei Kurzgeschichten und eine etwas längere Novelle, in einer Ausgabe des Morgenbuch Verlages Volker Spiess, Berlin 19921Den Verlag scheint es nicht mehr zu geben, finde nur antiquarische Angebote.

Ich habe es 2001 gekauft, weil Robert Service das Buch in seiner Lenin-Biographie als Schlüsselroman für die Beziehung zwischen Lenin, der Krupskaja und der Armand bezeichnet hat. Zwanzig Jahre später habe ich es nun gelesen. Kinder, wie die Zeit verrinnt.

Wege der Liebe führen immer wohin?

In der längeren Novelle „Wassilissa Malygina“ geht es um eine Frau, die ihrem Mann hinterherreist. Der ist als Nepmannscher2Von NEP: Neue ökonomische Politik, Phase in der Sowjetunion der Zwanziger, als privatwirtschaftliche Initiativen zugelassen und gefördert wurden, um die allerschlimmste Not zu lindern. irgendwo in den Weiten Russlands am Geschäfte machen. Das ist einer der Konfliktpunkte zwischen den Beiden, dass er nur noch daran denkt, wie er zu Geld kommt, die Wohnung schön macht und ihr hübsche Stoffe und Kleider kauft.

Wassilissa, genannt Wasja, beäugt das misstrauisch, weil sie diese bourgeoise Art als nicht zu den großen Zielen der Revolution passend empfindet. Sie lebt in dieser Beziehung zunehmend unglücklich, mal von Liebe überflutet, dann wieder von Verzweiflung gepackt.

Sie muss Wladimir verteidigen, weil er angeklagt wird, muss in der Partei zu seinen Gunsten sprechen, aber zuhause streiten sie immer öfter, bis sie schließlich mitbekommt, dass er noch eine andere hat, Nina Konstantinowna. Er hat nämlich die doppelte Menge an Stoff gekauft, um jeder seiner Frauen etwas schenken zu können.

Ins Dreieck

Diese Entdeckung beendet die Beziehung nun nicht etwa; die Frage, wer wen liebt und warum, und wer wem ein guter Kamerad und Kampfgefährte ist, wird an dem hübschen Stoff nicht entschieden.

Wladimir empfindet Nina, der anderen also, gegenüber eine Verantwortung, weil die ganz alleine ist im Gegensatz zu Wasja, die ihre Genossen3Gegendert wird in dem Buch nicht.hat. Nina war nämlich mit einem Weißgardisten zusammen, der zu Tode gekommen ist in den Kämpfen dieser Zeit. Sie ist nicht in der Partei. Wenn er sich nicht kümmern würde, wäre sie verloren.

In diesem Dreieck werden die Beziehungsfragen der Moderne erörtert. Wie sehr fesselt eine Liebe, wie sehr hindert sie jemanden, den eigenen Zielen zu folgen.

Wasja ist immer wieder damit beschäftigt, Kommunehäuser einzurichten, das Gegenteil der bourgeoisen Lebensweise, die Wladimir sich in jenen Jahren zugelegt hat, und das Hausfrauendasein, in das sie bei Wladimir gestoßen wird, hindert sie daran, sich diesen Zielen zu widmen.

Das Happy End

besteht folgerichtig auch nicht darin, dass sie sich kriegen, sondern dass Wasja Wladimirs Liebe zu Nina akzeptiert als den natürlichen Lauf der Dinge, obwohl sie am Ende von ihm schwanger ist, aber dafür wird sie mit ihrer Freundin Gruscha4die noch die Heiligenbilder verehrt und für Wasja betet, was diese amüsiert hinnimmt, nicht ohne die Freundin deshalb milde zu verspottenein Kommunehaus aufbauen, wo solche Kinder ohne Väter aufwachsen können, eine weitere der Illusionen oder Ansichten jener Zeit, dass es für die Kinder gut wäre, nicht bei der Familie aufzuwachsen.

Die Beziehungskisten sind ähnlich wie heute,

das Frauenbild sehr modern. „Wir“ „wissen“ ja, wie es ausgegangen ist, welche Brutalität geherrscht hat, aber das Urteil der Geschichte ist nie die ganze Wahrheit. Dafür ist die Lektüre solcher alten Bücher immer wieder hilfreich, sich das bewusst zu machen.

Unser heutiges Wissen lastete nicht schlimm auf der Lektüre. Die Autorin bleibt sehr konsequent bei ihren Figuren, es wird da nicht theoretisiert oder ein neues Gesellschaftsbild entworfen.

Es ist einfach eine Geschichte über die Liebe in einer Zeit, da die Frau nicht mehr nur das Anhängsel des Mannes sein sollte.

Es fühlt sich erfrischend an, heute, da nur das Düstere und Furchtbare dieses Gesellschaftsexperiments in der Erinnerung geblieben scheint und den Diskurs sicher zu Recht prägt.

Ich empfand das Buch als sehr lesenswert.