Günter de Bruyn ist ein DDR-Autor gewesen, den ich kaum gekannt habe. Er selber würde sich wahrscheinlich auch niemals als solcher bezeichnet haben.
Nun habe ich seine Lebenserinnerungen gelesen: „Zwischenbilanz“ und „Vierzig Jahre“ und es drängt mich zu sagen, wie wunderbar diese Bücher sind. Wahrhaftig, was meint, das Streben nach Wahrhaftigkeit ist in jeder Zeile spürbar, schön geschrieben, was an dieser Stelle fast klassisch altmodisch meint, in verständlichen Sätzen, die sich nicht anbiedern. Interessant, weil er dieses brutale Jahrhundert, das er miterlebt hat, an seinem eigenen Leben spiegelt, nicht indem er die äußeren Ereignisse mitbestimmen würde, sondern indem sie ihm ständig in sein Leben fahren und es aus seinen Bahnen reißen, es auf ein neues Gleis setzen, auf das er gar nicht wollte.
Die Brutalität des letzten Jahrhunderts kam daher, dass große Ideen, wie die Menschheit geformt werden und leben sollte, rücksichtslos umgesetzt wurden, und sich dabei selbst pervertierten, zum Gegenteil dessen wurden, was sie eigentlich vorstellen sollten. Gut, dieser Satz meint mehr den „Kommunismus“, denn die Ideen des Nationalsozialismus kamen von vornherein brutal daher. Und die Nazis waren es auch, die dem jungen Günter zunächst in die Quere kamen. Er, der sich an seinem älteren Bruder orientierte, der so ein christlicher Wandervogel war, musste erleben, wie dieser Bruder seinen Widerstand gegen den NS-Staat still lebte und im Krieg fiel. Er musste in die Hitlerjugend, suchte sich seine Freunde bei den ruhigen „Patrioten“, denen im Krieg oder in so einer Jubelgesellschaft keine Stimme zukommt, die gehört werden darf.
Er musste am Ende zur Wehrmacht, war Flakhelfer, wusste sich aber mit Glück, Krankheiten und Vorsicht zu schützen, auch vor den Frauen übrigens hin und wieder.
Und dann geriet er über die wirre Nachkriegszeit, in der das Heimwandern eine monatelange Angelegenheit war, vom Regen des Nationalsozialismus in die Traufe des Sozialismus. Er hätte im Westen bleiben können, aber er stammte nun mal aus Britz, das familiäre Heim war zerstört, die Mutter lebte in einer Baracke im Garten im Brandenburgischen, ich glaube, ihretwegen ist er im Osten geblieben.
Er wurde erst Dorflehrer, konnte sich seines passiven Widerstandes gegen die neuen Lehren wegen nicht halten (und weil er vor der Frau floh, die er da geheiratet hatte), lernte später Bibliothekar und hielt sich immer in der zweiten, eher dritten Reihe, widerstand allen Versuchen, ihn für „die Sache“ zu gewinnen.
Die Bücher entfalten ihren Zauber durch den konsequent persönlichen Blickwinkel. De Bruyn ist nirgendwo Widerstandskämpfer gewesen. So lese ich diese Erinnerungen zumindest. Aber er hat sich auch kaum mal vor einen Karren spannen lassen, selbst von Freunden und von Frauen nicht. Er hatte seine Liebe im Preußischen, in der Geschichte der Schlösser und sonstiger Architektur, man kann das in manchen seiner Werke über Luise oder die Finckensteins nachlesen. Die Geschichte der Steine und Landschaften interessierte ihn. Ein Interesse, das ich nur mäßig teile. Trotzdem waren auch diese Bücher angenehm unaufgeregt zu lesen.
Günter de Bruyn ist in mein Leben getreten durch den Film „Glück im Hinterhaus“, basierend auf seinem Roman „Buridans Esel“, ohne dass ich das recht bemerkte, weil meine jugendliche Phantasie zu sehr mit Ute Luboschs Busen beschäftigt war, den ich für sehr bedeutsam hielt, und später mit dem Buch „Märkische Forschungen“, das damals Ende der Siebziger/Anfang der Achtziger zu den Büchern gehörte, die man gelesen haben musste, auch wenn ich mich an den Inhalt kaum erinnere. Günter de Bruyns Bücher kommen wie ein guter Wein um Mitternacht daher.
„Zwischenbilanz“ und „Vierzig Jahre“, empfehlenswert für jeden, der sich für die Zeit interessiert, wissen will, wie es auch gewesen ist, abseits möglicherweise vom eigenen Erleben.