Mich persönlich hat über Twitter der Vorwurf erreicht, ein Faschist zu sein und die Aufforderung, wenigstens (!) dazu zu stehen.
Anlass war ein Tweet, in dem es um Freiheit ging, und dass die Grünen sie beschneiden wollen1Ich verweise diesbezüglich auf meine Blogs zum Thema „Grüner Diktator“..
Ich hatte das alte Engels-Zitat getweetet, wonach Freiheit immer Einsicht in die Notwendigkeit bedeutet. Engels hat dabei angeblich Hegel interpretiert, so dass man den Gedanken vielleicht auch Hegel zuschreiben könnte.
Diese Meinungsäußerung brachte mir den ironiefreien Vorwurf ein, ich wäre ein Faschist und sollte wenigstens dazu stehen.
Für mich erhebt sich die – ebenfalls ironiefreie – Frage, woher das Bedürfnis kommt, aus einem Tweet, in dem ich Engels zitiere, dieses Urteil über mich abzuleiten und mich dann auch noch aufzufordern, das wie einen Urteilsspruch zu akzeptieren.
Was ist ein Faszist?
Ein Blick in Wikipedia belehrt mich, dass das Wort Faschist von fascio kommt, was Bund bedeutet, und mich gleich an Faszien erinnert, was aber von italienisch fascia = Band abgeleitet ist – Band, Bund – Faszisten sind wir demnach alle.
Faszien halten zum Beispiel die Organe an ihrem vorgegebenen Platz, ohne sie allzu sehr in ihrer notwendigen Mobilität einzuschränken, was ein schönes Bild ist für die Freiheit, die auch für die Leber eben Einsicht in die Notwendigkeit bedeutet, da zu arbeiten, wo sie hingehört.
Freiheitsillusionen
„Freie Fahrt für freie Bürger“ war von Anfang an eine Illusion, weil sie eingeschränkt war von dem Bedürfnis der anderen „freien“ Bürger, einen von der Überholspur zu verscheuchen.
Die einzig absolute Freiheit gibt es vielleicht im Suizid (obwohl man da bei der Wahl der Mittel auch ziemlich begrenzt ist), alle anderen Freiheiten sind eingeschränkt, entweder faktisch durch die Gesetze der Natur oder juristisch durch die Gesetze der Kultur.
Selbst Gesetzesübertretungen oder das Austesten von Grenzen sind durch Fähigkeiten, technische Möglichkeiten beschränkt. Äußerungen auf Twitter werden von Algorithmen kontrolliert.
Und am Ende muss ich mich diesen Notwendigkeiten beugen (und mich trotzdem frei fühlen).
Ich muss einsehen, dass ich
- nicht schneller als 130 km/h fahren soll, aber auch nicht schneller als 200 km/h (bei meinem Auto) fahren kann;
- den Fleischkonsum reduzieren soll wegen Klima und weil die armen Viecher schlimmer als im KZ gehalten werden;
- zum Fliegen ein Flugzeug oder einen Fallschirm benutzen sollte, weil ich keine Flügel habe;
- GEZ bezahlen muss für Sendungen wie „In aller Freundschaft“, „Sturm der Liebe“ und „Bares für Rares“;
- nicht einfach die Wohnung gegenüber besetzen darf inklusive der heißen Braut, die immerzu auf dem Balkon rumlümmelt, und auch den dazugehörigen Mann darf ich nicht vom Balkon schubsen.
Du sollst nicht töten ist die größte Freiheitseinschränkung, die man sich überhaupt vorstellen kann.
Freiheit ist darum immer nur dann möglich, wenn ich mich innerhalb dieser Einschränkungen bewege. Nur dann kann ich die Restfreiheit überhaupt genießen. Sonst lande ich vor dem Kadi oder unter der Erde.
Noch gar nicht geredet ist da von dem großen Freiheitsregulierer GELD.
Der Mensch muss sich dareinfinden, dass einer quadratkilometerweise Land besetzt hält, was sich Eigentum an Immobilien nennt, drei Bugatti in der Garage stehen hat und mit einer Jacht über die Weltmeere schippert, obwohl er vielleicht gar nichts dafür geleistet hat, während ein anderer achtzehn Stunden am Tag knuffen muss, um gerade so über die Runden zu kommen.
Das muss der Mensch einsehen, scheint eine freiheitseinschränkende Notwendigkeit zu sein.
An diesen Freiheitseinschränkungen zu rühren, ist völlig aus der Mode gekommen, weil – zugegebenermaßen – der letzte Versuch, daran etwas zu ändern, ein Rohrkrepierer war.
Die schönste Geschichte von Freiheit ist eigentlich die von „Hans im Glück“.
Komischerweise verstehen wir Freiheit völlig anders, nämlich als das Recht, uns so viel wie möglich unter den Nagel zu reißen, ob wir es brauchen oder nicht; das Recht, um die ganze Erdkugel zu fliegen, die letzten unberührten Flecken zu verschandeln.
Dabei wäre der Inbegriff von Freiheit einzusehen, dass das so nicht geht.
Nehmen wir das sogenannte Mutterland der Freiheit USA:
- Gebaut auf Sklavenhaltung allerübelster Sorte.
- Gebaut auf Vertreibung und Ausrottung der Ureinwohner.
- Gebaut auf dem Recht auf Waffenbesitz, was Zehntausende jedes Jahr das Leben (und damit die Freiheit) kostet.
- Gebaut auf Rechtsbruch, der Millionen im Kampf gegen den Terror (für dreitausend Opfer) das Leben kostete, eine Quote, die nicht mal die Nazis bei Geiselerschießungen hinbekommen haben.
- Ein Land, das auf hunderttausend Einwohner gerechnet mehr Leute ins Gefängnis steckt als Russland und China zusammengenommen.
- Oder das diesen schwachsinnigen Kampf gegen Drogen, der nie gewonnen werden kann, führt, was nur unendlich viel Leid über eine Unmenge Menschen bringt – und den Drogenkonsum doch nicht verhindert.
Trotzdem sehen wir die USA als Hort der Freiheit. Ist das nicht verrückt?
Aber ist die Gängelung jedes selbständigen Freiberuflers oder Gewerbetreibenden durch eine Unzahl Vorschriften und Gesetze hierzulande besser? Wenn man bei uns ein Unternehmen eröffnet, hat man mit zehn Behörden zu tun, bevor sich der erste Kunde meldet2 Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wäre. (aus Schiller „Die Räuber“)
Dass Freiheit nur aus der Einsicht in die Notwendigkeiten ihrer Ausmaße und Grenzen, ihrer Bedingungen entstehen kann, halte ich darum für eine Binsenweisheit.
Schon Goethe wusste das, wie ich an einem Wanderweg nahe Weimar erfahren durfte. „Freiheit ist nichts als die Möglichkeit, unter allen Umständen das Vernünftige zu tun.“
Freiheit eines jeden Kaspers
Die Freiheit eines jeden Kaspers, mich deshalb als Faschist zu bezeichnen, bleibt davon unberührt; meine Freiheit, mich deshalb zu fragen, ob er noch alle Latten am Zaun, alle Tassen im Schrank, alle Lötstellen geputzt oder einfach nur schlecht geschlafen hat, ebenfalls.
Ich bin frei, über diesen relativ bedeutungslosen Konflikt zwei Stunden zu schreiben, das zu veröffentlichen und zu hoffen, dass es wer liest und sich daran freut.
Erfreulicherweise ist mir das Vergnügen, darüber nachzudenken und zu schreiben aber auch genug.
Insofern: danke für die schwachsinnige Behauptung. Hat viel Spaß gemacht, mir meine freiheitseinschränkenden Vorurteile selbst zu bestätigen.
Und natürlich für die vernünftige Anregung, mich wieder mehr mit meinem Bindegewebe zu beschäftigen.
Der Faszist