Das erste Buch des Jahres 2022 ist eines aus dem Jahr 2016, das damals ein Bestseller war, weil es angeblich erklärte, warum so viele Menschen Donald Trump gewählt haben. Die Kritiken wirkten ein bisschen, als erkläre das Buch eine eigenartige und wunderliche Spezies: den Hillbilly. Den Hügelkevin könnte man das vielleicht übersetzen. Und wie es möglich ist, dass die Republikaner die neue Arbeiterpartei der USA sind.
J.D. Vance erzählt, warum die Menschen aus den Appalachen mit Barack Obama nichts anfangen konnten (und mit den Ernährungstipps seiner Frau schon gleich gar nicht).
Das Erstaunliche ist, dass J.D. Vance bei den diesjährigen Midterms in Amerika als Kandidat für den Senatorenposten … ohhhhhhh und nun versinke ich in Artikeln über einen Mann, der sich von einem Trump-Kritiker zu einem Apologeten gewandelt hat. Vielleicht weil man in Ohio ohne das nicht gewinnen kann?
In den alten DDR-Indianerfilmen hätte man gesagt, also der rote Mann hätte das gesagt: er spricht mit gespaltener Zunge. Zumindest behauptet das ein Herr Tom Nichols, der für „theatlantic.com“ schreibt. Er robbt sich langsam an das A-Wort heran. Und er hat noch mehr solcher Begriffe wie Kameradenschwein, Verräter, eine Ratte, Stinktier.
Andererseits schreibt Henry Olson ausgerechnet in der Washington Post (wahrscheinlich ist er der Quoten-Trump…eter), dass man nur Angst vor J.D. Vance hat, weil er dazu neigt, die CEO’s der Big-Tech-Firmen und einiger anderer daran zu erinnern, dass sie eine Verantwortung haben für das Land, in dem sie leben und dem sie ihren unanständigen Reichtum verdanken usw. Mir scheint, ich kann das Buch nun gar nicht mehr loben, ohne mich diesem politischen Hauen und Stechen zu widmen.
Eine Historikerin namens Elizabeth Catte gefällt die Stellvertreterattitüde von Herrn Vance nicht, dass er also so tut, als wären die Probleme seiner Familie die Probleme aller Bewohner der Appalachen.
J.D. Vance beschreibt seine Kindheit und Jugend und das Leben seiner Familie und es stimmt schon: er sagt sehr oft, dass es vielen Menschen dort so ging, in den Appalachen.
Habe zwischenzeitlich zum wiederholten Male „Im August in Osage County“ gesehen und fühlte mich an das Buch erinnert. Obwohl der Film von einem anderen Landstrich handelt – nämlich den Plains in Oklahoma, ging es um dieselbe Mischung aus Unfähigkeit zur Liebe und die alltägliche Gewalt in den Familien. Was die Plains mit den Appalachen verbindet, ist, dass sie beide einen Nord-Süd-Streifen durch die USA bilden, von Kanada bis Mexiko. Wir reden um das gesamte küstenferne Gebiet der USA, den mittleren Westen, als könnte man die Staaten so einteilen, die weltoffenen Küstenregionen und das Zentrum, an dem alles Moderne immerzu vorbeigeht.
Unabhängig von dem Streit, der nun um die Person des in die Politik gewechselten Autors tobt, weil er halt Senator werden will, halte ich das Buch für sehr lesenswert, weil es persönlich ist. Auch wenn der Eindruck erweckt wird, verlässt Vance nie den Bereich der eigenen Erfahrung. Nicht einmal dann, wenn er davon spricht, wie weit verbreitet Faulheit, Trunk- und Drogensucht, Fatalismus usw. verbreitet sind. Natürlich ist es albern, die Küsteneliten und die Bergdeppen eins zu eins gegenüberzustellen. Da hat Frau Catte sicher recht. Es gibt immer auch die anderen, überall.
Ich finde, er stellt die richtigen Fragen:
Warum hat es niemand von meiner Schule außer mir auf eine Elite-Uni geschafft.
Warum sind Streit und Gewalt in Familien wie meiner so verbreitet?
Warum kamen mir erfolgreiche Menschen so fremd vor?
Nach allem, was er geschrieben hat, müsste er eigentlich Sozialdemokrat sein. Aber da einem Amerikaner dieser Weg versperrt ist …
Eigentlich wollte ich nur sagen, dass mir das Buch gefallen hat.
Quellen
What do we call a man who turns on everything he once claimed to believe? For a practitioner of petty and self-serving duplicity, we use “sellout” or “backstabber.” (Sometimes we impugn the animal kingdom and call him a rat, a skunk, or a weasel.) For grand betrayals of weightier loyalties—country and faith—we invoke the more solemn terms of “traitor” or “apostate.”
Das habe ich eben in einem Artikel gelesen auf The Moral Collapse of J. D. Vance – The Atlantic. Das ist harter Tobak.
Ich kenne theatlantic.com nicht. Ein Herr Tom Nichols schreibt das. Kenne ich auch nicht. Aber ich gebe zu, wenn J.D. Vance einer von denen sein sollte, die um ihrer Karriere willen vor Trump eingeknickt sind, würde mich das nach der Lektüre seines Buches sehr schmerzen.
Nun gut, es ist ein weiterer Meinungsartikel aus der Washington Post dazugekommen, eher Pro-Vance. Von dort könnte ich zu weiteren vier Artikeln springen. Im Grunde also kann ich zu jeder Meinung, die mir genehm ist, etwas finden.
Vom Buch her finde ich, dass Vance ein cooler Typ ist. Soweit geht die Freiheit, dass ich mit einem Klick von Herrn Nichols, der nun der Meinung ist, J.D.Vance wäre ein Arschloch, zu Henry Olsen, der findet, J.D. Vance lehre das Establishment (whatever that is) das Fürchten, und das sei gut so, gelange. Jetzt könnte ich mich noch eine Weile in der Washington-Post-Ecke tummeln.
Alexandra Petri schreibt über die Pro-Donald-Änderungen in dem Buch, das ich gerade in seiner alten Fassung gelesen habe. Das ist allerdings creepy. Also wenn diese Korrekturen alle so stimmen, ist es ein böser Kotau. Nachzulesen hier:
Außerdem werde ich auf thebulwark.com verwiesen:
Who’s Actually Responsible for the „Culture War“? – The Bulwark
Okay, das hat nur wenig damit zu tun.
Aber hier kommt etwas direkt zu dem Buch:
Historian Makes Case For ‚What You Are Getting Wrong About Appalachia‘ In New Book (npr.org)