Eben hat mich die Frau des Hauses, deren Namen ich nicht weiß, angerufen und mich gebeten, den Schlüssel von innen stecken zu lassen, und die 6,60 €  für die Kurtaxe bar neben den ausgefüllten Anmeldungsbeleg zu legen. Es geht um 6,60 €, bei einer Gesamtrechnung von 176 € kein großer Betrag, aber sie legen Wert darauf. Ihr Mann hatte mich auch schon darauf hingewiesen, als er mir den Weg hier hoch zeigte.

Beim Bäcker W. an der Ecke, heute eine Kette, gab es großen Aufruhr, als ich für mein Restbrötchen und die Restbutter noch etwas Honig wollte. „Das müssen Sie aber extra bezahlen.“ Natürlich, mache ich nachher, ich bin ja nicht kleinlich. Ich kaufte extra noch einen Kaffee dazu, damit sich das Aufmachen der Kasse lohnte.

Bei den kleinen Beträgen versteht – und ich bin versucht zu sagen: der Deutsche, was ich aber meine ist eher: der kleine Mann – keinen Spaß. Die Kasse muss stimmen.

Sie werden mies bezahlt, aber sie kämpfen für die Kasse, und dass der Wareneinsatz beim Honig stimmt. Das regt uns auch nicht mehr auf als dass beim Flughafen noch die eine oder andere Milliarde extra verbraten wird. Im Gegenteil: ich wette, dass der Puls bei den 75 Cent für den Honig höher geht als bei einer Zeitungsmeldung über die extra Milliarde für dieses oder jenes Großprojekt.

Ich glaube, weil es die Größenordnung ist, die wir mathematisch nachvollziehen können. Da schaffen wir es, uns nicht bescheißen zu lassen. Weil das Steuergeheimnis uns davor bewahrt zu wissen, wie groß der Gewinn desInhabers der Bäckereikette ist, kämpfen wir um die 75 Cent, und weil wir uns nichts nachsagen lassen wollen. Weil wir nicht wissen und auch nicht wissen sollen, bei wem die extra Milliarde für den Flughafen hängenbleibt, bestehen wir auf den 6,60 € für das Stadtsäckel.

Wir kriegen ein schlechtes Gewissen, weil uns einer sagt: für deine fünf Wochen Krankenhaus und jetzt noch vier Wochen Reha zahlt die Kasse bestimmt hunderttausend Euro. Kann schon sein, aber niemand weiß, wer die am Ende kriegt. Es ist eine Mischkalkulation, deren Zahlen noch nicht mal der Hauptbuchhalter kennt.

Aber vielleicht ist es ja doch wichtig. Dass wir daran glauben, dass es wichtig ist. Weil nur der Glaube das System am Laufen hält. Mit den 10 g Honig finge es ja nur an. Wenn die Verkäuferinnen in der Bäckerei nicht daran glaubten, dass es wichtig ist, die 75 Cent für die Schale billigen Lidl-Honig abzuziehen, dann ist der Kapitalismus in Gefahr. Insofern ist mein innerer Spott, der folgenlos bleibt, weil ich ihn den Verkäuferinnen gegenüber niemals äußern würde, fehl am Platze. Weil ich keinen alternativen Glauben anzubieten habe, der ihr Leben halten könnte. Nicht mehr.