Ich weiß gar nicht, warum mich das Thema „Krim“ so aufregt. Liegt nicht am Sekt. Seit 1783, seit Katharina der Großen gehört die Krim zu Russland. Ist viel passiert da, und aus heutiger Sicht war das sicher alles völkerrechtswidrig. Die Vertreibung der Krimtataren zum Beispiel. Aber Gott! 18. Jahrhundert zählt nicht mehr, was Völkerrecht betrifft.

1954 hat gleichfalls völkerrechtswidrig Chruschtschow die Krim der Ukraine „geschenkt“. Warum auch immer[1]. Hätte er nach der Verfassung der RSFSR nicht tun dürfen. Außerdem haben die Obersten Sowjets beider Länder nicht zugestimmt. War eine linke Nummer. Klar, waren andere Zeiten. Und Chruschtschow stammte aus der Ukraine. Vielleicht glaubte er, man müsse allein wegen der Stalinschen Hungersnot von Anfang der Dreißiger etwas wiedergutmachen. Oder vielleicht war es wirklich einfach nur verwaltungstechnisch eine gute Lösung. Und dann habe ich noch die eigenartige Geschichte gelesen, dass Stalin von Chruschtschow 100.000 Ukrainer für den Wiederaufbau Russlands nach dem Krieg verlangt habe, und Chruschtschow hat getobt und geschrien, dass er dafür dann wenigstens die Krim haben wolle, zum Urlaub machen wahrscheinlich.

Die Ukraine gehört sicher zu den Ländern, die im Zwanzigsten Jahrhundert den höchsten Blutzoll entrichtet haben an den Wahn der Menschheit, neue Gesellschafts- und Raumordnungen zu schaffen. Erst der erste Weltkrieg, dann der Bürgerkrieg nach der Revolution, dann die Hungersnot, dann der Große Terror und als wäre das nicht genug, zu „guter Letzt“ noch die Deutschen. Und nach dem Krieg hat es eine Weile gedauert, bis alles wieder „im Lot“ war, wenn man unter im Lot sein mal die sowjetische Herrschaft versteht. Ich darf mich da nicht zu sehr vertiefen, dann komme ich in kürzester Zeit zu der Überzeugung, dass wir die nächsten zweihundert Jahre mit nichts als Wiedergutmachung beschäftigt sein dürften.

Und nun die „Annexion“ der Krim. Ich schreibe das sehr bewusst in Anführungszeichen. Wir sollten der Tatsache ins Auge sehen, dass die Krim künftig zu Russland gehören wird. Den Menschen, die dort leben, wird es weitgehend recht oder egal sein. Etwas anderes habe ich nicht gehört.

Wozu muss man mit der Ukraine ein NATO-Manöver vor der russischen Küste durchführen und dabei durch Gewässer fahren, die Russland für sich reklamiert. Reine Provokation, die sich hinter markigen Sprüchen von Freiheit, Menschenrechten und ähnlichen Worthülsen verbirgt. Noch dazu, wenn sie von so einem Prime Minister spielenden Kasper wie Boris Johnson abgesondert werden, dem die Ironie ins Gesicht geschrieben steht, wenn … nun, dem die Ironie ständig ins Gesicht geschrieben steht. Dass Russland das nicht lustig findet, wenn die NATO ständig näher an seinen Grenzen irgendwelche Manöver abhält, muss doch jedem klar sein.

Man stelle sich vor, Russland würde sich mit Argentinien zusammentun und so etwas vor den Falkland-Inseln abziehen. Oder wie lange ist die letzte CIA-Operation in Süd- oder Mittelamerika her? 

Und ich habe noch nicht einmal Russia Today oder sonstige russische Propagandasender gesehen oder gehört, nur Tagesschau und Spiegel.

Hört auf mit diesem Scheiß. Wir wollen doch nicht etwa wegen einer historisch fragwürdigen Zuordnung der Krim den Krieg mit Russland riskieren.

 

[1] Damals hat man diesen eigenartigen Transfer im Westen kaum zur Kenntnis genommen.